Jahrbuch für öffentliche Finanzen (JöFin)

16. Workshop des Jahrbuchs am 15./16.09.2023
Matthias Woisin

Tagungsbericht 16. Workshop: „Finanz- und Haushaltspolitik in der Bundesrepublik – zwischen Eintrübung des wirtschaftlichen Umfeldes, neuen/alten Disparitäten und transformativen Anforderungen“ am 15. und 16. September 2023

Auf der Höhe der Zeit – das Ende der goldenen Jahre?

Das diesjährige Treffen in Leipzig – von einigen Teilnehmern liebevoll als „Klassentreffen“ bezeichnet – war nach Interesse, Themenvielfalt, Umfang und fachlichem Anspruch ein neuer Höhepunkt in der Reihe der Jahrbuch-Workshops. Gastgeber
Prof. Dr. Thomas Lenk konnte am ersten Verhandlungstag im Felix-Klein-Hörsaal des Neuen Augustinums der Universität Leipzig wieder ein Auditorium aus allen Teilen der Republik begrüßen. Mit mehr achtzig angemeldeten Teilnehmern war der 16. Workshop auch Ausdruck eines wachsenden Orientierungswunsches.

Den ersten Aufschlag machte
Dr. Katja Rietzler von der Böckler-Stiftung zur Frage einer „Schieflage“ in den Bund-Länder-Finanzbeziehungen, die sich nach ihrer Darlegung sehr relativierte u.a. mit ihrem Hinweis auf die „sehr wenig dynamische“ Entwicklung der Bundessteuern. Daran konnte Prof. Dr. Christian Kastrop mit Anmerkungen zur Schuldenbremse und zum „Doppelwumms“ des Bundeshaushalts unmittelbar anknüpfen. Da er aus eigenem Erleben schöpfen konnte, fanden seine Bemerkungen zur „0,35%“-Regel in der Verfassung besondere Aufmerksamkeit. Die Diskussion um den Investitionsbegriff scheint neu aufzuleben. Die jüngere Generation stellte sich unter dem Label „fiscal-future“ vor: Carl Mühlbach und Leonhard Mühlenweg zeigten einen Nachweisversuch, wie Fiskalregeln Investitionsausgabe reduzieren können. In den „Maschinenraum“ der Schuldenbremse führte der anschließende gemeinsame Vortrag von Philipp Orphal (Uni Heidelberg) und Dr. Tobias Peters (Finanzverwaltung Bremen) zum Begriff der „finanziellen Transaktion“. Hier zeigte sich vor allem in der Diskussion der schwierige Grenzverlauf zwischen Landeshaushaltsrecht und der Rechtsetzung des Bundes und der EU. Prof. Dr. André Heinemann (Uni Bremen) zeigte mit seinem „Platin-Grundsatz“ Wege, um die Verschuldungsgrundsätze aus der formalen Sackgasse zu führen. Mit einiger Spannung waren die beiden Vorträge von Prof. Dr. Stefan Korioth (LMU) und Prof. Dr. Thomas Lenk (Uni Leipzig) zum Normenkontrollantrag Bayerns zum Finanzkraftausgleich erwartet worden. Der Antrag Bayerns werde dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit geben, alle bekannten Kontroversen nach Bedarf aufzugreifen, neue Gesichtspunkte seien kaum zu entdecken. Offen sei die Frage, wer im Zweiten Senat federführend tätig werde. Aus finanzwissenschaftlicher Sicht bestätigte Lenk den Befund, dass der Finanzkraftausgleich vereinbarungsgemäß funktioniert. Dabei erinnerte er an die für Bayern nachteiligen Themen (u.a. Gemeindefinanzkraft), die der bayerische Antrag nicht berührt. Prof. Dr. Lars Hummel (Uni Hamburg) ergänzte den Vortrag von Korioth. Geradezu einen Themenwechsel brachte der Beitrag von Prof. Dr. Salvatore Barbaro (Uni Mainz) und Julia M. Rode (Bundesbank). Sie stellten mit einer Regressionsanalyse einen Zusammenhang her zwischen dem länderspezifischen Verlauf der Covid-Inzidenz und den Presseverlautbarungen von Ministerpräsidenten. Die skeptischen Nachfragen zeigten, dass der Interpretationsspielraum aus statistischer Ableitung zumindest in politischer Hinsicht deutlich enger sein könnte als vorgetragen. Das Thema „Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen“, dem sich Karsten Rösch (Partnerschaft Deutschland) gestellt hatte, stieß auf lebhafteres Interesse, als er selbst vermutet hatte. Zahlreiche Nachfragen zeigten an dieser Stelle einen gewissen Instrumentenhunger der Haushaltspraxis.
Im folgenden Panel wechselte die Moderation von
Dr. Matthias Woisin zu Dr. Henrik Scheller, der es mit dem Thema der bayerischen Kommunalentschuldung eröffnete. Dr. Andreas Kallert und Dr. Simon Dudek (kath. Uni Eichstätt) beschrieben die bayerische Praxis kritisch aus der Sicht der Wirtschaftsgeographie. Ihnen folgte mit MR Dirk Hengstenberg ein altgedienter Praktiker, der die reformierte und effiziente Praxis der EU-Finanzkontrolle in Mecklenburg-Vorpommern darstellte. In der Diskussion wurde von Prof. Hummel hinterfragt, wieweit der Finanzkontrolle überhaupt eine beratende Rolle zukäme? Energischen Widerspruch formulierte dazu Ulrich Keilmann (Rechnungshof Hessen), der die beratende Rolle verteidigte.
Prof. Dr. Martin Junkernheinrich berichtete vom jüngst gescheiterten Versuch der Landesregierung NRW, eine Kommunalentschuldung auf Kosten des Bundes und der Kommunen zu organisieren. Die Herausforderungen der Kommunalwirtschaft durch die energiewirtschaftliche Transformation nahmen Dr. Hans-Georg Napp und Andreas Meyer (VKU) in den Blick. Sie problematisierten die künftig kaum noch darstellbaren Beiträge der Energiewirtschaft im kommunalen Querverbund und ihren erheblichen Finanzierungsbedarf.
Das letzte Panel war dem Gedenken an
Jens Bullerjahn, Finanzminister a.D., (1962-2022) gewidmet, der sich stets aktiv am Jahrbuch beteiligt hat. Thematisch ging es um einen finanzpolitischen Blick auf Ostdeutschland vor allem in der Zeit seines Wirkens. Moderiert wurde das Panel von Ringo Wagner (LV-ST), der zunächst die Familienangehörigen begrüßte. Mit einer bewegenden Würdigung des Verstorbenen und früheren Ministerkollegen setzte Prof. Dr. Carsten Kühl, DIfU-Berlin, Finanzminister a.D., den Ton dieses Panels. Ihm folgte Staatsminister a.D. Dr. Matthias Haß, der sowohl aus der Bundes- wie aus der Länderperspektive die Entwicklung des Finanzföderalismus pointiert skizzierte. Zum großen Feld der Gesundheitsfinanzierung sprach danach ein persönlicher Weggefährte Bullerjahns, Thomas Flieger (Baobab) und entwarf für dieses Feld ein Puzzle von Reformansätzen.
Am folgenden Samstag, d. 16.9.23, standen die Transformationsanforderungen und ihre finanzpolitischen Notwendigkeiten im Fokus. Zu Beginn zeichnete
Prof. Dr. Achim Truger (SVR) die aktuelle konjunkturpolitische Debatte mit kräftigen Strichen. Er widersprach der These, das vergangene Jahrzehnt sei eines der Umverteilung gewesen. Wenn jetzt die „Knappheit“ zurück sei, müsse man sich fragen, wo vorher die Fülle gesteckt habe? Er forderte eine „neutrale“ Finanzpolitik, die nicht in die Krise hineinspare. Mit „uralter Angebotspolitik“ sei die Lage nicht zu beherrschen. Nach diesem Auftakt präsentierte Dr. Thieß Petersen seine Überlegungen zur zirkulären Ökonomie der Zukunft, wobei in der Diskussion der Maßstab des BIP sogleich in Frage stand. Prof. Dr. Carsten Kühl (DIfU) und Ulrich Steinbach (EY) überraschten mit einem besonders bildhaften Vortrag zu den Grenzen systematischer Finanzpolitik. Zu den aktuellen Konfliktfeldern in der Auslegung der Schuldenbremse in Berlin und den enormen Sondervermögen trug Dr. Philip Matuschka vom Berliner Rechnungshof eine rechtliche Argumentation vor, substantiell und knochentrocken, wie man es vom Rechnungshof erwartet. Dagegen gewährte die Darstellung von Dr. Michael Thöne (FiFo Köln) einen Einblick in die „Werkstatt“, wo es um neue Verfahren zur Spending Review im Bundeshaushalt geht. Grüße von Gabriele Klug richtete zunächst Dr. Thomas Gambke (Grüner Wirtschaftsdialog) aus, der auf kommunaler Ebene entschieden für eine Kennziffersteuerung des Transformationsprozesses eintrat. Noch technischer wurde die überaus informative Darstellung zur Sustainable Finance von Dr. Christian Raffer (DIfU), die sich u.a. dem neuen Markt der Green Bonds zuwandte. Als er jedoch das Gesamtdeckungsprinzip als Konfliktgegenstand ansprach, erntete er deutlichen Widerspruch aus dem Plenum von Arne Schneider (FB Hamburg), der zudem darauf hinwies, dass jeder moderne doppische Haushalt über eine Kennziffersteuerung verfüge.
Abschließend gewährte
Dr. Anja Ranscht-Ostwald wie gewohnt den Ausblick auf die Produktionstermine für das nächste Jahrbuch. Im Schlußwort dankte Prof. Dr. Thomas Lenk dem Organisationsteam – Christian Bender, Fabio Botta und Katharina-Sophie Dziurla – das den gelungenen Rahmen und die technische Betreuung geleistet hatte.
Gesellschaftlicher Höhepunkt war wie in den Vorjahren die Einladung am Abend des 15.9.23 in die Deutsche Bundesbank, Leipzig, und die Ansprache von Präsident
Dr. Hubert Temmeyer. Der 16. Workshop war nicht zuletzt atmosphärisch geprägt von der beeindruckenden Jubiläumsfeier zum dreißigjährigen Bestehen des finanzwissenschaftlichen Instituts in Leipzig am 14.9.23.
(19.9.2023)
Erfolgreicher 16. Workshop in Leipzig

Unter dem Titel "Finanz- und Haushaltspolitik in der Bundesrepublik – zwischen Eintrübung des wirtschaftlichen Umfeldes, neuen/alten Disparitäten und transformativen Anforderungen“ hat im Neuen Augustinum der Universität Leipzig am 15. und 16. September 2023 der 16. Workshop des Jahrbuchs stattgefunden. Prof. Dr. Thomas Lenk konnte im Felix-Klein-Hörsaal mit rund achtzig Teilnehmern aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung wieder ein diskussionsfreudiges Auditorium begrüßen. Das dicht gedrängte Programm sah mehr als 25 Beiträge vor. Mit Prof. Dr. Achim Truger (Foto) fand die aktuelle Konjunkturpolitik Eingang in die Debatte. Der Normenkontrollantrag von Bayern zum Finanzkraftausgleich wurde von Prof. Dr. Stefan Korioth verfassungsrechtlich gewürdigt und von Prof. Dr. Thomas Lenk finanzwissenschaftlich kommentiert. Einen großen Bogen zum Föderalismus und die Rolle der neuen Länder schlug Staatsminister a.D. Dr. Matthias Haß in dem Panel, das dem Gedenken an den 2022 verstorbenen Jens Bullerjahn gewidmet war.

Zum ausführlichem
Tagungsbericht hier.

Das Programm für den 16. Workshop
ist hier als pdf verfügbar!










Bildereindrücke vom 16. Workshop
(anklicken zum Vergrößern)



Die Vorbereitungen für den 16. Workshop haben mit dem Versand des cfp am 9.6.23 begonnen.
Der cfp steht hier zum
download.

Die
Einladung wurde am 1.8.2023 versandt.

Anmeldungen können hier erfolgen.

Programm des 16. Workshop




Verlag

Das Jahrbuch für öffentliche Finanzen erscheint als Zeitschrift zweimal jährlich im Berliner Wissenschaftsverlag. Es wird betreut vom Lehrstuhl Finanzwissenschaft der Uni Leipzig.
Kontakt: redaktion[at]joefin.de
Projekt

Das Jahrbuch ist ein interdisziplinäres Projekt aus Rechts-, Finanz- und Politikwissenschaft sowie der Verwaltungspraxis. Das Projekt ist unabhängig, ehrenamtlich und wird gefördert von der Bundesbank.
Interesse

Im Vordergrund stehen die Landes- und Gemeindehaushalte sowie die föderalen Finanzbeziehungen.